Lage: |
Alpen, Italien, Ortleralpen, Südtirol |
Talorte: |
Bormio und Prad bzw. Spondinig |
Streckenlänge: |
22 km ab Bormio und 27 km ab Spondinig |
Maximale Höhe: |
2.758 m |
Maximale Steigung: |
15 % |
GPS-Koordinaten: |
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Mautgebühr: |
Nein |
Letztmals befahren: |
September 2017 |
Die legendäre, im italienischen
Sprachraum "Passo di Stelvio" genannte Passstraße über
das Stilfser Joch zählt zu den höchsten, schwersten und
kurvenreichsten Traumstraßen Europas. Die "Königin
der Passstraßen" durchquert als höchster Pass Italiens
den Nationalpark Stilfser
Joch und verbindet mit 82 Kehren den Wintersportort
Bormio in der Lombardei mit Prad und Spondinig im Etschtal
in Südtirol.
Ein Saumweg, der nördlich des Ortlers über das Stilfser
Joch führte, existierte bereits in der Bronzezeit. Unter
Kaiser Franz II. von Österreich wurde der Ingenieur
Carlo Donegani aus Brescia im Jahr 1818 beauftragt, zwischen
Tirol und der seit dem Wiener Vertrag zu
Österreich gehörenden Lombardei eine direkte, innerösterreichische
Straßenverbindung zu planen. Donegani hatte die Trassenplanung bereits im
Folgejahr abgeschlossen, so dass 1820 mit dem Bau der
Stilfserjochstraße begonnen werden konnte. Nach einer Bauzeit
von nur fünf Jahren konnte sie eingeweiht werden. Eine unglaubliche Leistung, besonders
weil wegen den langen Winterpausen nur wenige Monate im
Jahr gearbeitet werden konnte. Im August 1825 wurde dann
ein regelmäßiger Postdienst über das Joch eingerichtet. Aus wirtschaftlicher
Sicht war die Stilfserjochstraße nur wenige Jahre von Bedeutung,
denn nach dem verlorenen Sardinischen Krieg ging mit der Abtretung der Lombardei an
Italien im Jahr
1859 das Verkehrsaufkommen sehr stark zurück. Heute
wird die Passstraße ganz überwiegend als Touristenstraße genutzt.
Wir starten unsere Tour auf das Stilfser
Joch in dem auf 1.225 m Höhe gelegenen Zentrum
von Bormio, das wir auf der Strada Statale 38 in nördlicher
Richtung verlassen. Am Ortsausgang steht noch ein Werbeschild
des Straßenradrennens Giro d'Italia, das in diesem Jahr
zum 100. Mal durchgeführt wurde: Am 23. Mai
2017 war Bormio Durchgangsort UND Tagesziel der Giro-Königsetappe
von Rovetta über den Mortirolopass
nach Bormio, dann weiter über das Stilfser Joch nach Glurns,
durch das Münstertal und über den Umbrailpass
zum Etappenziel Bormio, wo der Italiener Vincenzo Nibali als Erster
die Ziellinie überfuhr.
Die Südrampe steigt direkt hinter
dem Ortsausgang von Bormio an, quert den Westhang der
3.049 m hohen Cima di Reit und passiert dabei die im
Tal gelegene Ortschaft Molina. Zwei Kilometer
hinter Bormio erreicht sie den ersten Tunnel, hinter dem sich der
2.919 m hohe Gipfel des Monte Solena erhebt.
Kurz darauf wendet sich die SS38 nach
Nordosten und folgt der malerischen Braulio-Schlucht. Nach mehreren Kehren tauchen
dann fünf Lawinengalerien
und dahinter die teilweise aufgemauerten 14 Spitzkehren zur 2.285 m hohen
Bocca di Braulio
vor uns auf, die den Westabsturz des 3.094 m hohen Monte Scorluzzo erklimmen.
Die Südwestrampe überwindet auf ihrem
22 Kilometer langen Anstieg hinauf zum Joch mit
insgesamt 34 Spitzkehren einen Höhenunterschied von
1.530 Metern. Von der Bocca di Braulio hat man
einen schönen Blick zurück auf die lange Gerade oberhalb
des Braulio-Tals, auf die Lawinengalerien, die Kehren
und auf das Braulio- Wasserkraftwerk.
Nun führt die Stilfserjochstraße fast
gradlinig in das Hochtal der Malga del Bormio...
... und zu der auf 2.340 Metern
Höhe gelegenen Kapelle "Oratorio di S.Ranieri".
Das dem Heiligen Ranieri Scacceri
(Rainer von Pisa) geweihte Oratorium wurde 1830 zu Ehren von
Ranieri Ferdinando von Habsburg-Lothringen,
Erzherzog von Österreich und Vizekönig
des Königreiches Lombardo-Veneto errichtet.
Auf der rechten Straßenseite
erinnert das von dem Architekten Pietro Del Fabbro
im Stil eines römischen Torbogens entworfene und 1932
errichtete "Ossario della guerra" an die Gefallenen des 1. Weltkrieges.
Auf
dem kleinen Friedhof wurden die sterblichen Überreste von
64 gefallenen Soldaten beigesetzt.
Knapp zwei Kilometer weiter erreichen
wir den Abzweig zum Umbrailpass, der
nach Santa Maria im Münstertal führt. Eine Einkehrmöglichkeit
gibt es hier nicht, denn sowohl das Albergo als auch
das Casa
Cantoniera IV sind wohl schon länger geschlossen.
Bis zum Jahre 1959 wurde die Stilfserjoch-Straße das ganze Jahr hindurch befahren
und es gab entlang der Strecke insgesamt acht Cantoniera,
die Straßenwärtern, Fuhrleuten und Reisenden Verpflegung
und Unterkunft boten sowie Pferdewechsel ermöglichten.
Nach zwei weiteren Kilometern passieren wir
das nur wenige Höhenmeter unterhalb der nahen, felsigen Scheitelhöhe
gelegene Albergo Folgore. Der Name des Hauses geht
auf eine Schutzhütte zurück, die von der CAI-Sektion
Bormio erbaut wurde und als Stützpunkt für Kletter-
und Skitouren diente. Zwischenzeitlich ging das Folgore
in private Hände über und wurde zum Albergo mit angeschlossenem
Restaurant umgebaut.
Wir überfahren den schon am frühen
Morgen belebten Scheitel
des Stilfser Joches und finden erst unterhalb des Hotel
Stilfserjoch einen freien Parkplatz.
Nach
Fertigstellung der Passstraße wurde das Joch in Erinnerung an
den Besuch von Kaiser Ferdinand am 22.08.1838 "Ferdinandhöhe"
genannt. Zunächst gab es hier oben keine Übernachtungsmöglichkeit.
Dies änderte sich erst im Jahr 1897 mit dem Bau des
"Hotel Ferdinandshöhe". Da nach dem 1. Weltkrieg
die Grenze zwischen Österreich und Italien weiter in
den Norden verschoben wurde, lag der einst innerösterreichische
Übergang nun in seiner gesamten Länge auf italienischem
Staatsgebiet und wurde in "Passo di Stelvio" umbenannt.
Auch der Hotelname änderte sich: Das Hotel Ferdinandshöhe
heißt seitdem Hotel Stilfserjoch.
Mit einer
Scheitelhöhe von 2.758 Metern ist das Stilfser
Joch nach dem
2.764 m hohen Col d'Iseran die zweithöchste Passstraße in den Alpen.
Zwar geht es auf der Ringstraße des Col de la
Bonette (2.802 m) und der Ötztaler
Gletscherstraße (2.829 m) noch höher hinauf, aber beide sind
keine
echten Passstraßen.
Neben dem Hotel Stilfserjoch steht
die "Chiesetta di Madonna della Neve", die
von der Familie Perego aus Tirano im Jahr 1937 errichtet
und der Königin des Friedens geweiht wurde. Im Jahr
2007 wurde seitlich der Kapelle ein Altar, ein eiserner
Glockenturm und die von dem Trentiner Bildhauer Guglielmo "El
Duca" Bertarelli geschaffene Skulptur der Madonna
della Neve aufgestellt.
Am Fuß der massiven Stützmauer erinnert ein
kleines Denkmal an den italienischen Radsportler
Fausto Coppi. Der dreifache Radweltmeister wurde am
15. September 1919 in Castellania
geboren und "Il Campionissimo"
genannt. Er gewann fünfmal
den Giro d'Italia und zweimal das große Double: Giro
d'Italia
und Tour de France in einem Jahr. 1959 infizierte er
sich während eines Straßenrennens im afrikanischen Obervolta
mit dem Malaria-Erreger. Er verstarb am 2. Januar
1960 im Alter von 41 Jahren in der Stadt Tortona im
Piemont.
Gegenüber der Kapelle steht das Albergo Genziana,
das im Jahr 1935 erbaut und seitdem mehrfach erweitert und modernisiert
wurde. Bei unserer frühmorgendlichen Überfahrt hat das
Genziana als erstes Haus auf dem Joch gerade geöffnet.
Kurzentschlossen gönnen wir uns in der warmen Gaststube einen leckeren Cappuccino.
Rechts neben dem Albergo bietet sich
der "Cima Coppi Bogen" allen Radsportlern
für ein Fotoshooting an. Als 1953 der Stelvio das erste
Mal im Programm des Giro d'Italia war, deklassierte
Fausto Coppi seine Konkurrenz mit einer nie zuvor gesehenen
Solofahrt und erreichte als Erster die Passhöhe.
Im Jahr 1965 wurde ihm zu Ehren für die Italien-Rundfahrt
der Sonderpreis "Cima Coppi" eingeführt: Der
Radprofi, der als Erster den höchsten Punkt der Rundfahrt,
die Cima Coppi erreicht, erhält eine Zeitgutschrift
und Bonuspunkte für die Extremkletterei. Er hat die
besten Aussichten, die Bergwertung des Giro zu gewinnen. Acht Mal wurde die Cima Coppi
bisher auf dem Stilfser Joch ausgefahren, elf Mal auf
dem Pordoijoch.
Wenige Meter oberhalb und etwas südöstlich der Passhöhe befindet
sich der Alpengasthof
Tibet-Hütte,
den der Hotelier Fritz
Angerer in den Jahren 1959 bis 1961 nach den Plänen des Architekten Willy Gutweniger
aus Meran erbauen ließ. Inspiriert wurde der Rundbau
im tibetanischem Stil durch das Buch
"Sieben Jahre in Tibet" von Heinrich Harrer. Die große Sonnenterrasse
ist neueren Datums, sie wurde kurz vor der Jahrtausendwende
angebaut.
Auf der nördlich des Joches gelegenen
Dreisprachenspitze steht auf 2.845 Metern Höhe
das Rifugio Giuseppe Garibaldi,
das in den 1960er Jahren errichtet wurde. Zuvor gab
es hier oben ein Berggasthaus, das während des 1. Weltkrieges
durch Artilleriebeschuss zerstört wurde. An der Dreisprachenspitze treffen die Sprachräume der
italienischen, deutschen und rätoromanischen Sprache
zusammen und hier liefen bis 1918 die Grenzen von Italien,
Österreich und der Schweiz zusammen.
Als wir von unserem Rundgang über
die Passhöhe zurück zum Parkplatz kommen, stellen wir
fest, dass sich unser MX-5 in sehr guter Gesellschaft
befindet: Er hat während unserer Abwesenheit doch tatsächlich
drei Brüder aus Schottland getroffen, deren Fahrer nach
Reinigung der Action-Cams und Frontscheiben genau wie wir den tollen Blick auf
den 3.905 Meter hohen, schneebedeckten Ortler genießen. Der Traum von einer gemeinsamen
Weiterfahrt erfüllt sich leider nicht, denn die Schotten
fahren ihre Pässe-Tour leider in entgegengesetzter Richtung.
Vom Parkplatz aus werfen wir noch
einen Blick auf die obersten der vor uns liegenden 48 Spitzkehren der
Nordostrampe, dann düsen wir bergab in Richtung Spondinig,
das knapp 1.900 Meter tiefer liegt.
Weit kommen wir nicht: Bei der ersten
Spitzkehre zieht es uns für einen ausgiebigen Gletscherblick-Fotostopp
auf den kleinen Parkplatz im Scheitelpunkt der Kehre.
Irritiert stellen wir hier fest, dass ein Südtiroler "Auf Wiedersehen"-Schild
die bergauf Fahrenden bereits hier in der Rampe verabschiedet, obwohl die Landesgrenze
zwischen der Lombardei und Südtirol über die Passhöhe
weiter oben verläuft.
Wir genießen den Blick auf die von
Spalten überzogene Gletscherzunge des Madatschferners
unterhalb der Madatschspitzen. Der zwischen dem Stilfser
Joch und der Geisterspitze gelegene Ebenferner
wird schon viele Jahre von Mai bis September als Sommerskigebiet
genutzt. Dieses Jahr bei unserer Überfahrt Anfang September
aber nicht mehr: Wegen zwei extrem warmer Wochen waren die Gletscher
so weit abgeschmolzen wie noch nie, weshalb der Sommerskitourismus
zu deren Schutz eingestellt wurde. Der Klimawandel lässt
grüßen.
Nachdem wir uns satt gesehen haben,
nehmen wir endgültig die oberen
14 Spitzkehren der Nordostrampe in Angriff...
... und passieren kurz darauf das auf 2.188 Metern gelegene Berghotel Franzenshöhe,
das auch als "Hotel Sottostelvio" bekannt
ist. Das Haus wurde Anfang des 19. Jahrhunderts
für das österreichische Militär errichtet, als Kaserne
genutzt und zu Ehren von Kaiser Franz Joseph I. "Franzenshöhe"
genannt. Während des Baus der Stilfserjochstraße wurden
hier die Bauarbeiter untergebracht. Nach Abschluss der
Arbeiten wurde das Haus zu einer Raststation umgebaut,
1935 ging es in private Hände über und wird seitdem
als Hotel genutzt.
Unterhalb des Hotels Franzenshöhe und
nach weiteren zehn engen Kehren erreichen wir die Baumgrenze.
Durch den immer dichter werdenden Lärchenwald windet
sich die Stilfserjochstraße kontinuierlich weiter bergab. In den vielen
Kehren haben Radsportbegeisterte deutliche Spuren hinterlassen.
Kurz vor Trafoi erreicht die Nordostrampe
den Trafoier Bach, dem sie über Gomagoi, Stilfs, und
Prad
bis nach Spondinig im oberen Etschtal folgt. Auf
diesem letzten Streckenabschnitt bietet sie schöne Aussichten auf die
nahen Gipfel der Tabaretta-Spitze und der Hochleitenspitze sowie auf
die jenseits der Etsch in den Himmel ragende Tschenglser Hochwand
und auf die
Vertainspitze.
Weitere
Infos:
http://www.quaeldich.de/
Das menschliche Auge sieht mehr als eine Kamera:
Unsere Fotos sollen nur den Appetit anregen.
Deshalb: Hinfahren und selbst ansehen!
Denn nichts ist besser als das Original.