Es gilt als historisch
gesichert, dass die Gegend um Brügge bereits von
den Galliern besiedelt war. Die Existenz einer römischen
Siedlung im 3. Jahrhundert wird vermutet, konnte
allerdings bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen
werden. Aufzeichnungen irischer Mönche belegen,
dass diese Mitte des 7. Jahrhunderts das Christentum
nach Flandern brachten.
Als im frühen 9. Jahrhundert
die Normannen von der Nordsee kommend in das Land
einfallen, nutzen sie die Anlegestelle an der Rei
und nennen sie "Bryggia". Markgraf Balduin I.
mit dem Eisernen Arm, ein Lehnsmann von Karl
dem Kahlen und erster Graf von Flandern, lässt daraufhin
zum Schutz
vor weiteren Überfällen eine Burganlage bauen und
übernimmt mit "Bruggia" den normannischen
Namen für diese Anlegestelle. Die Burg ist durch den
Rei mit der tiefen Fahrrinne des zur
Nordsee führenden Zwin verbunden. Durch den Zuzug
von Handwerkern und Händlern wächst der Ort schnell
und wird durch seine verkehrsgünstige Lage im Handelsdreieck
England - Frankreich - Rheinland bald auch für Fernkaufleute
interessant.
Bruggia profitiert vom Handel dermaßen gut, dass
Mitte des 10. Jahrhunderts mit dem Bau einer
großen steinernen Kirche begonnen werden kann: Vorbild
der Sint-Donaas-Kerk ist die Pfalzkapelle des Doms
zu Aachen.
Im Jahr 1200 wird Bruggia
das Marktrecht erteilt und der erste internationale
Markt abgehalten. Durch ihre Lage im Zentrum der
flandrischen Tuchherstellung wird die Stadt auch
für die Deutsche Hanse interessant, die mit
ihren Koggen bis ins Stadtzentrum segeln kann. Nachdem
Gräfin Margarete II. von Flandern im Jahr 1252 die Lübschen Kaufleute
mit weitreichenden Handelsprivilegien ausstattet, gründet
die Hanse zum Schutz der neuen Privilegien ein Jahr
später in Brügge ein Kontor, das durch den Handel mit Stoffen
aus Italien, Gewürzen aus dem Orient, Wein aus
Spanien, Fischen aus Nordeuropa und Pelzen aus Russland bald zum
wichtigsten Handelsplatz der gesamten Hanse wird.
Das Kontor in Brugge überflügelt nicht nur den "Peterhof" in Nowgorod,
sondern auch das Kontor "Tyskebryggen" in Bergen und
den "Stalhof" in London.
Der wirtschaftliche
Aufstieg der Stadt erhält einen schweren Dämpfer,
als der Rat in Verkennung der wirtschaftlichen Abhängigkeit
von den "Osterlingen" Ende des 13. Jahrhunderts
Handelsbeschränkungen für ausländische Kaufleute
verhängt. Die Hanse reagiert prompt: Der Rat von
Lübeck verhängt über Brügge einen Handelsboykott
und verlegt im Jahr 1280 das Brügger Kontor nach Aardenburg.
Die wirtschaftlichen Folgen sind für die Stadt so katastrophal,
dass man zwei Jahre später die alten Privilegien
erneut bestätigt, damit die Hanse ihr Kontor zurückverlagert.
In der Folge eröffnen hier Bank- und Handelshäuser aus
ganz Europa
ihre Dependancen, und die Handelsbeziehungen werden bis
nach Spanien und Portugal ausgedehnt. Das Haus der
Kaufmannsfamilie Van der Beurse wird zum Mittelpunkt
der Finanzgeschäfte, der "Börse" von Brügge. Der steile
wirtschaftliche Aufschwung ermöglicht dem Rat, die
eiförmigen Stadtwälle anlegen zu lassen, den durch
einen Brand zerstörten Belfried zu erneuern, die
Liebfrauenkirche zu errichten und den Ausbau der
Stadt voranzutreiben.
Ende des 13. Jahrhunderts
versucht Philipp IV. von Frankreich - auch Philipp
der Schöne genannt - Flandern unter sein Zepter
zu bringen. Guido von Dampierre kündigt als Graf von Flandern daraufhin seinen 1297 geleisteten Lehenseid
und unterstellt sich König Eduard I. von England
als Landesherrn. König Philipp IV. reagiert sofort,
marschiert in Flandern ein und lässt Guido von Dampierre
wegen Eidbruchs inhaftieren. Die Bevölkerung von
Flandern setzt sich aber erbittert zur Wehr: Am
Morgen des 18. Mai 1302 überwältigen die Brügger
Zünfte unter der Führung von Pieter de Coninck und
Jan Breydel die französischen Besatzer in deren Garnison
und stellen sich
am 11. Juli bei Kortrijk selbstbewusst dem anrückenden
französischen
Ritterheer, das in der "Guldensporenslag"
(Goldsporenschlacht) vernichtend geschlagen wird.
Philipp IV. muss auf Druck der Zünfte sogar Guido
von Dampierre frei lassen und Flandern eine weitgehende
Autonomie gewähren.
Brauner
Bär und goldener Löwe halten das Wappenschild der
Stadt Brügge mit einem blauen Löwen vor den Farben
der Hanse: Rot und Silber
Von langer Dauer ist
der erreichte Frieden allerdings nicht: Guido von
Flandern gerät bald zwischen die Fronten des lokalen
Machtkampf der alteingesessenen
Patrizier gegen die immer einflussreicher werdenden
Zünfte und sieht sich auch bald im Spannungskonflikt
der Großmächte Frankreich und England, die beide
nach dem Wirtschaftszentrum Flandern mit seiner florierenden
Tuchindustrie und dem Welthandelsmarkt Brügge gieren.
Im Jahr 1337 kommt es zwischen den Großmächten zum Hundertjährigen Krieg. Dank
der diplomatischen Winkelzüge des flandrischen Grafen Ludwig
von Male überstehen Brügge und Flandern die lange Kriegszeit weitgehend unbeschadet: 1376 wird in Brügge der Grundstein für
das Rathaus auf dem Burgplatz gelegt, wenige Jahre
später werden die Stadttore hochgezogen.
Im 15. Jahrhundert
erlebt die Stadt am Zwin den Höhepunkt ihrer Blütezeit.
Handwerk und Handel bringen immer mehr Wohlstand und Reichtum
in die Stadt, die zu einem bedeutenden Welthandels-
und Weltwirtschaftszentrum aufsteigt, in dem inzwischen
sogar
die mächtigen Medici
aus Florenz eine Niederlassung
gegründet haben. Seit der Hochzeit von Margareta von Male,
Tochter des Grafen von Flandern, mit Herzog Philipp
dem Kühnen im Jahr 1384 regieren die Herzöge von
Burgund die Stadt und machen sie zur Residenzstadt
und zu einem kulturellen Zentrum.
In der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ändern
sich die Machtverhältnisse. 1477 heiratet Maria
von Burgund, eine Tochter von Karl dem Kühnen, den
Österreichischen Kaiser Maximilian. Nach Marias
frühem Tod im Jahr 1482 übernimmt der Habsburger
die Regentschaft über Flandern und die inzwischen reichste Stadt
nördlich der Alpen. Maximilian beschneidet die Rechte
der uneinigen, sich rivalisierenden flandrischen
Städte derart rigoros, dass es zu Aufständen
kommt und der Kaiser 1488 in Brügge vorübergehend
inhaftiert wird.
Danach verlieren Flandern und Brügge
an Bedeutung
und Einfluss, Holland und Brabant - und damit auch
das aufkommende Antwerpen - gewinnen an Einfluß
und Macht. Und
dann versandet auch noch der Zwin, die Lebensader
von Brügge, die bisher die Welthandelsstadt mit
dem Meer verband. Nach und nach verlegen nun die ausländischen
Handelshäuser ihre Niederlassungen in die flämische
Hafenstadt Antwerpen. Allein die Deutsche Hanse
bleibt Brügge treu - bis 1520. Dann wird auch das
Hanse-Kontor an die Schelde verlegt. Aber deren
Niedergang ist seit der Schließung des Kontors in
Nowgorod im Jahr 1494 längst eingeläutet.
Brügge
um 1650 Merian-Kupferstich
Die einst
so reiche Stadt Brügge verarmt schnell und
wird politisch zum Spielball der Großmächte. 1529
beendet Karl V. die französische Lehensherrschaft.
Bis zum Frieden von Utrecht ist Flandern nun
unter spanischer Herrschaft und leidet unter dem
achtzig Jahre dauernden Krieg zwischen Spanien und
den Niederlanden. Ab 1713 haben die Habsburger das
Sagen. Bis 1795. Dann regieren die Franzosen. Bis
zur Schlacht von Waterloo im Jahr 1815. Danach gehört
Brügge dem ein Jahr zuvor durch die Beschlüsse des
Wiener Kongresses neugegründeten Vereinigten Königreich
der Niederlande an. Fünfzehn Jahre lang. Mit der
Ausrufung der belgischen Unabhängigkeit im Jahr
1830 endet die politische Irrfahrt: Brügge wird
mit Flandern Teil des neuen Königreiches Belgien.
Die
wirtschaftliche Situation verbessert sich für Brügge
und dessen verarmte Einwohner, die sich "Bruggelinge"
nennen,
deshalb aber nicht. Die industrielle Revolution geht weiterhin
an Brügge vorbei. Es fehlt Geld für den Bau
von Fabrikgebäuden und für den Kauf innovativer Produktionsanlagen
und -techniken. Es fehlt sogar das Geld für den Abriss alter Gebäude
zu Schaffung notwendiger industrieller Freiflächen. Zum Glück. Jedenfalls
aus heutiger Sicht. Denn nur so bleibt das mittelalterliche
Brügge - einem riesigen Freilichtmuseum gleichend
- erhalten. 1998 erkennt die UNESCO den Beginenhof
als Weltkulturerbe an, ein Jahr später folgt der
Belfried. Im Jahr 2000 erklärt die UNESCO schließlich
den gesamten historischen Stadtkern mit mehr als
zehntausend Häusern zum Weltkulturerbe. Er wird
zu einem Tourismus-Magneten, der jährlich mehr
als drei Millionen Besucher anzieht, das einst
totgesagte "Bruges la Morte" wieder mit
Leben füllt und der die Stadt vom jahrhundertelangen Stillstand profitieren
lässt.
|