Das Land an
Leie und Schelde ist schon zur Zeit der Kelten dauerhaft
besiedelt. Es wird von den Bewohnern "Ganda"
genannt, was "Mündung" oder "Zusammenfluss"
bedeutet.
Archäologische Funde belegen,
dass im 1. Jahrhundert n. Chr. die Römer für
knapp 400 Jahre die Herrschaft über das Gebiet um
Gent übernehmen. Mit dem Ansturm der Germanen zu
Beginn des 5. Jahrhunderts endet dann die römische
Besatzungszeit. Die Legionäre müssen sich vor den
überlegenen germanischen Stämmen zurückziehen und
im Jahr 406 nehmen die Franken das Gebiet in Besitz.
Im
7. Jahrhundert missionieren die später heilig gesprochenen
Amandus
von Maastricht und Bavo
von Gent das Land an der Schelde. Amandus, ein gebürtiger
Adliger aus der französischen Region Aquitaine,
reist im Auftrag des Bischofs Acharius von Noyon
mit dem Schiff nach Gent um zu missionieren. Die
heidnischen Bewohner sind ihm jedoch feindlich gesonnen
und werfen Amandus bei seiner Ankunft in den Fluss.
Erst als er einen zum Tode verurteilen Verbrecher
heimlich vom Galgen schneiden lässt und dieser während
eines Gebetes wieder ins Leben zurückehrt, lassen
sich die von diesem Wunder beeindruckten Menschen
dauerhaft missionieren. Von 629 bis 639 tauft Amandus
die heidnischen Germanen und gründet zusammen mit
seinem Schüler Bavo, ein Adliger aus dem Haspengau,
die Abteien Sint Baaf und Sint Pieters. Amandus
wird 647 zum Bischof von Maastricht ernannt,
zieht sich jedoch zwei Jahre später in das von ihm
gegründete Kloster Elnon im heutigen St-Amand-les-Eaux
zurück.
Weil die Normannen im 9. Jahrhundert
mehrfach ins Land einfallen und Gent plündern, wird
die Abtei Sint Bavo befestigt. Kriegsschiffe werden
gebaut, um den Normannen auf dem Wasser zu begegnen.
Von Erfolg sind diese Maßnahmen nicht gekrönt: Auf
ihren Raubzügen der Jahre 879 bis 883 versenken
die Nordmänner die neu gebauten Kriegsschiffe und
zerstören die
beiden Abteien.
Zum Schutz der Stadt werden in der Folge erste Verteidigungsanlagen
hochgezogen.
Mit Graf Balduin II. von
Flandern kehrt Ruhe und Ordnung in die Gegend von
Gent ein. Er lässt am linken Leie-Ufer eine wehrhafte
Grafenburg errichten, in deren Schutz um den nahe
gelegenen
Groentenmarkt herum ein erstes Wohnviertel entsteht.
Mehr als 600 Kaufleute lassen sich an Graslei und
Korenlei nieder. Die beiden von den Normannen
zerstörten Abteien werden wiedererrichtet und es werden
Kirchen gebaut: Nach der Weihe der Sint-Janskerk
werden die Grundsteine für die Vorläuferkirchen
der Sint-Jacobskerk, der Sint-Niklaaskerk und der Sint
Michielskerk gelegt. Die Landbevölkerung wird von
dem aufblühenden Gent angezogen, was zu weiterem
Wachstum führt.
Mit der zunehmenden Bedeutung
der Tuchherstellung und des Handels mit Tüchern
gewinnt auch Gent an Bedeutung. Die Stadt entwickelt
sich im 11. Jahrhundert zur Metropole der Textilproduktion
und gehört bald zu den wirtschaftlich stärksten
Städten nördlich der Alpen. Durch den permanenten
Zuzug ist Gent hinter Paris auch bald die zweitgrößte
Stadt in Nordeuropa. Im 14. Jahrhundert hat
die Stadt mehr als 60.000 Bewohner.
Der wirtschaftliche
Aufschwung hat große Auswirkungen auf die Stadtgeschäfte.
Der Adel muss den reichen Kaufleuten einen Teil
der Macht abtreten. Die Regierungsgeschäfte gehen
auf einen von Schöffen gebildeten Rat über, der
für die Finanzen, die Besteuerung und die Rechtsprechung
zuständig ist. Auch die neu gebildeten Zünfte gewinnen
zusehends an Einfluss, wehren sich gegen die mittelalterliche
Vorherrschaft der Grafen von Flandern und fordern
mehr Selbständigkeit. Als sich die Patrizier dann
mit dem König von Frankreich verbünden und dieser
versucht, die englischen Wollhändler aus Flandern
zu vertreiben, kommt es zum Eklat. Die für die Textilherstellung
lebenswichtige Lieferung von englischer Wolle wird blockiert. Die vereinigten Genter Zünfte verbünden
sich daraufhin im Jahr 1338 unter der Führung des
Kaufmanns und Stadthauptmannes Jacob van Artevelde
mit England und erheben sich. Andere flandrische
Städte folgen.
Nach ersten Anfangserfolgen
scheitert die Revolte. Nach dem gewaltsamen Tod
von Jacob van Artevelde - er wurde vom Zunftmeister der Webergilde wegen
seiner diktatorischen Gewaltherrschaft ermordet
- führt Jacobs Sohn Philipp van Artevelde 1382 das
flämische Heer gegen die französischen Truppen.
In der Schlacht von Rozebeke werden die Flamen vernichtend
geschlagen, weil die zugesagten Truppen von König
Richard II. von England noch nicht einmal vollständig
rekrutiert waren.
Historisches
Wappen von
Gent aus der niederländischen Periode
Durch seine
Hochzeit mit Margaretha van Male, dem einzigen Kind
des letzten Grafen von Flandern, fällt im Jahr 1384
die Grafschaft und damit auch Gent an den Herzog
Philipp den Kühnen von Burgund. Als dieser versucht,
die Macht der Genter Zünfte zu beschneiden und deren
Unabhängigkeitsbestrebungen brutal unterdrückt,
kommt es erneut zu einem Aufstand unter der Führung
von Philipp van Artevelde. Die sich über Jahre hinziehenden
Kämpfe werden von beiden Seiten hart und unerbittlich
geführt, bis das 30.000 Mann starke Stadtheer im
Juli 1453 von den burgundischen Truppen in der Schlacht
bei Gavere an der Schelde geschlagen wird; die Genter zahlen
einen hohen Blutzoll.
Von nun an ertragen sie die Herrschaft der Burgunder,
die bis in das Jahr 1477 dauert. Am 19. August
dieses Jahres heiraten in Gent Maria von Burgund
und der spätere Kaiser Maximilian. Da Maria Gent in die Ehe mit einbringt, bestimmen nun die
Habsburger die Geschicke der Stadt. Die Kaufleute
nutzen den Machtwechsel und erheben sich erneut,
um ihre Unabhängigkeit zu erreichen. Vergebens.
1492 müssen sie sich den neuen Herren ergeben.
Auch
wirtschaftlich erhält Gent zu dieser Zeit herbe
Rückschläge. Mit dem wirtschaftlichen Erstarken
von Antwerpen und Brüssel erhält
die Handelsmetropole Gent sehr starke Konkurrenz.
Als dann in England, Holland und Brabant auch noch
neue, durch Niedriglöhne kostengünstiger produzierende
Textilzentren entstehen, verlieren Tuchproduktion
und Tuchhandel in Gent an Bedeutung. Aber man findet
andere lukrative Geschäftsmöglichkeiten: Es werden
Verbindungskanäle nach Zwijn bij Damme und nach
Sas van Gent an der Westerschelde gegraben, um die
Binnenschifffahrt auf Leie und Schelde auszubauen.
Zudem ersetzen die Gewinne aus dem intensivierten
Wein-, Frucht- und Getreidehandel die wegbrechenden
Renditen der Textilproduktion.
Als am 24.
Februar 1500 im Prinzenhof zu Gent der spätere Kaiser
Karl V. als ältester Sohn von Herzog Philipp I.
von Burgund und der Herzogin Johanna von Kastilien
geboren wird, ahnen weder dessen Eltern noch die
Bewohner von Gent, dass der Enkel von Kaiser Maximilian
I. Jahrzehnte zehn Jahre nach seiner Krönung zum
Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nationen den Anlass für einen erneuten Aufstand
der Genter liefern wird: Die vom Kaiser 1537 verfügte
drastische Erhöhnung der Steuern und Abgaben führt
wegen der eh schon leeren Stadtkasse - der Rat der
Stadt hatte sich mit dem pompösen Rathausneubau
finanziell total übernommen - zu einem Generalstreik
der Genter Handwerker und zu einem Aufstand der
Arbeiterschaft. Um diese lokale Erhebung nicht zu
einem Flächenbrand werden zu lassen, muss der
Kaiser ein Exempel statuieren. Karl V. zieht mit
einem Heer nach Gent, unterwirft die rebellierende
Stadt und demütigt sie: Er lässt die Anführer vor dem Gravensteen
öffentlich enthaupten und zwingt die wohlhabendsten
Kaufleute sowie die Ratsmitglieder, barfuß und nur mit
einem Büserhemd bekleidet zum Prinzenhof zu ziehen
und um Gnade zu bitten.
Während seiner Regentschaft
muss sich Kaiser Karl V. mit einem noch gravierenderen
Problem auseinander setzen, dessen Tragweite er
zuerst nicht erkennt: Er bestellt 1521 den gegen
die Katholische Kirche mit Predigten und Schriften
aufbegehrenden Augustinermönch und Theologieprofessor
Dr. Martin Luther zum Reichstag
in Worms, damit dieser vor dem Kaiser und den
Reichsfürsten seine Schriften widerrufe. Der Augustinermönch
verteidigt jedoch seine Thesen, widerruft nicht
und wird schließlich mit der Reichsacht belegt.
Luther verlässt Worms - der Kaiser hatte Freies
Geleit zugesichert und hält sich an seine Zusage
- und flieht auf die Wartburg, wo er weitere reformatorische
Schriften verfasst und die Bibel ins Deutsche übersetzt.
Diese
Schriften werden auch in Gent gelesen und man hört
hier auch die Predigten der Reformatoren, die immer mehr Anhänger finden. Um 1530 durchzieht
ein tiefer religiöser Graben die Stadt. Es kommt
zu Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten.
Die Katholiken reagieren auf die Reformation mit
einer Gegenreformation, dann schlägt die Inquisition
erbarmungslos zu: Ab 1559 werden auf dem Vrijdagmarkt
und dem Sint Veerleplein protestantische Ketzer
auf Scheiterhaufen verbrannt. Die Anhänger Luthers
antworten 1566 mit dem Bildersturm: Der aufbegehrende
protestantische Mob plündert katholische Sakralbauten und macht
vor keinem Genter Kloster, keiner Genter Kirche
oder Kapelle Halt. Kirchenorgeln, Gemälde, Skulpturen,
Christusdarstellungen und einzigartige Kirchenschätze werden
vernichtet, beschädigt oder entwendet.
Gent wird zu einer protestantischen Diktatur.
Die
Protestanten erheben sich auch, als Karl V. die
Niederlande und Burgund an seinen Sohn Philipp II.
von Spanien übergibt. Eine Herrschaft von Katholiken,
zudem aus Spanien, der Hochburg der Inquisition,
ist für sie nicht hinnehmbar. Als die Spanier dann
im Jahr 1568 den flandrischen Grafen Lamoral von
Egmond in Brüssel wegen Hochverrats und Rebellion
hinrichten lassen - Goethe thematisierte diese Ereignisse
in seinem Werk Egmont - entbrennt ein achtzig Jahre
dauernder Befreiungskampf der Niederländer unter
Willem von Oranien. Gent bildet bei diesem Aufstand
gegen Philipp II. von Spanien die Speerspitze. Am
8. November 1576 schließen Holland, Seeland
und die südlichen Provinzen in Gent die "Genter
Pazifikation", in der sie sich gegenseitig
Hilfe im Kampf gegen die spanischen Besatzer versprechen.
Die nördlichen Provinzen treten diesem Pakt kurze
Zeit später bei.
Stadtansicht
von Gent im Jahr 1524 in der Lakenhal
Im Jahr 1579
reagieren die Spanier mit einem Eroberungsfeldzug
des Herzogs von Parma, der neben Gent auch Amsterdam,
Maastricht,
Namur und Brügge
erobert. Er errichtet ein katholisches Terrorregime,
das so brutal gegen die Protestanten vorgeht, dass
diese zu Tausenden ihre Heimat verlassen und in
die nördlichen Niederlande flüchten. Mit der nachfolgenden
katholischen
Erneuerung setzt in Gent ein unglaublicher Bauboom
ein. Mehrere Tausend Arbeiter erneuern die zerstörten
Kirchen und Kapellen. In den wieder aufgebauten
Klöstern lassen sich zwanzig Orden nieder, die den
katholischen Glauben lehren. Die Jesuiten gründen
hierzu eine eigene Hochschule.
1794
endet die spanische Herrschaft. In diesem Jahr erobern
die französischen Truppen unter Napoleon Bonaparte
ganz Flandern. Und bleiben in Flandern. Bis
zur Schlacht von Waterloo im Jahr 1815. Durch die Beschlüsse des
Wiener Kongresses wird Flandern dann dem neugegründeten Vereinigten Königreich
der Niederlande zugeschlagen. Nun ziehen die Holländer
in die Stadt ein. In der Folge kommt es zu Differenzen zwischen den
protestantischen Nordprovinzen und den katholischen
Südprovinzen, die in der Belgischen
Revolution des Jahres 1830 gipfeln. Der erfolgreiche
Aufstand der Flamen und Wallonen führt letztlich
zur Abspaltung
und zur Gründung des belgischen Staates. Mit der
Ausrufung der belgischen Unabhängigkeit wird Flandern -
und damit auch Gent - Teil des neu gegründeten Königreiches.
Mit
dem Bau des Gent-Brügge-Kanals und der Anbindung
an den Seehafen Oostende setzt in Gent ein reger
Fernhandel ein. Die Schiffe Genter Kaufleute segeln
bis nach China und Indien und fahren stattliche
Gewinne ein, die in den Bau von Fabrikanlagen investiert
werden. Mit der Einfuhr von englischen Spinnereimaschinen
zur Weiterverarbeitung von Baumwolle - initiiert
durch den weitsichtigen Lieven Bauwens - setzt in
Gent um 1800 eine Industrialisierung ein, die der
Stadt bald den Namen "Manchester auf dem Festland"
bringt. Und mit dem Graben des Kanals nach Terneuzen
erreichen nun auch Seeschiffe die Stadt. Die
industriell gefertigten Produkte können nun vor Ort geladen
werden. Immer mehr Menschen strömen in die Stadt, die den
Neuankömmlingen in den Textilfabriken und im Hafen neue Arbeitsplätze
bietet.
Zwischen 1815 und 1930 verdreifacht sich die Einwohnerzahl
von Gent auf rund 180.000 Bewohner.
Die Gründung
der Universität im Jahr 1817 macht die Stadt auch
für die geistige Elite des Landes interessant und
zieht Wissenschaftler und Technologen an. Die Gründung
der Flämischen Akademie für Sprache und Literatur
schafft ein Gegengewicht zu der noch immer vorherrschenden
französischen Sprache: Die Flamen besinnen sich
auf ihre traditionellen Wurzeln. In den Schulen
und an der Universität wird nun in flämischer Sprache
unterrichtet und gelehrt.
Weil die Weltausstellung
des Jahres 1913 nach Gent vergeben wird und weil
man hochkarätiges internationales Publikum erwartet,
wird der historische Stadtkern herausgeputzt: Belfried,
Lakenhal, Gravensteen, Duivelhof werden ebenso restauriert
wie die Fassaden an Graslei und Korenlei und die
Denkmäler der Innenstadt.
Heute besitzt
Gent den drittwichtigsten Seehafen Belgiens, in
dem jährlich knapp 30 Millionen Tonnen
umgeschlagen werden. Die unrentabel gewordene Textilindustrie wurde zwischenzeitlich
durch die Ansiedlung von Maschinenbau, Automobilbau,
Elektronik- und Stahlindustrie abgelöst. Zudem werden
In Gent und dessen
Umland mehr als drei Viertel aller belgischen
Blumen und Grünpflanzen gezogen und zum Versand
gebracht. Und Dank seiner wunderschönen Altstadt
profitiert Gent heute auch von einem erstarkenden
Tourismus.
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