Foto-Reisebericht
- Reiseführer - Reise-Info
Gent "Vom
Vrijdagmarkt zur Sint-Baafsabdij"
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Wir
erreichen Gent über die Autobahn Antwerpen-Brügge
und folgen der gut ausgeschilderten Parking-Route
bis zur geräumigen Tiefgarage unter dem "Vrijdagmarkt" in der
Altstadt.
Der Name Vrijdagmarkt
bürgerte sich ein, weil hier seit dem Jahr 1199 an Freitagen
ein Wochenmarkt abgehalten wird, auf dem die Bauern
und Händler aus dem Umland ihre Waren anbieten.
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Der Vrijdagmarkt
war früher auch das politische Zentrum von Gent.
Hier mussten im Mittelalter die flandrischen Grafen
schwören, die Genter Privilegien zu respektieren,
hier trugen 1345 die Gilden der Weber und Tuchwalker
ihre Lohnstreitigkeiten in blutigen Kämpfen aus,
hier wurden 1477 zwei Gesandte von Maria von Burgund
hingerichtet, hier fanden Turniere und Feierlichkeiten
statt und hier wurden Verbrecher mit dem Fallbeil
öffentlich geköpft, letztmalig 1822.
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Die
Westseite des Vrijdagmarktes wird von dem im wahrsten
Sinne des Wortes herausragenden Gebäude "Ons
Huis" beherrscht.
Ons Huis wurde im Jahr
1920 nach den Plänen des ortsansässigen Architekten Ferdinand Dierkens
in eklektischem Baustil errichtet. Bauherr war die
Arbeitervereinigung
"Socialistische Werkersvereenigingen".
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Deutlich
älter und sehenswerter sind die Fassaden an den
drei anderen Seiten des Vrijdagmarktes, darunter das
Bürgerhaus "De Valck" mit dem Treppengiebel
aus dem 17. Jahrhundert und das rechts daneben
stehende, "Lakenmetershuis" genannte Gildehaus
mit dem klassizistischen Halsgiebel aus dem 18. Jahrhundert
und der Hausnummer 25, ...
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das reich verzierte Barockgiebelhaus "Lijnwaadmarkt"
mit der Hausnummer 32 schräg gegenüber, das in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gebaut
wurde und auf dem heute ein moderner, hier aber
unpassender Neon-Schriftzug
auf das Restaurant "Fonduehuis" im Erdgeschoss
aufmerksam macht, ...
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das Gildehaus
der Kürschner aus dem Jahr 1675 mit dem Namen "Den Bonten Mantel"
und der Hausnummer 47 sowie das...
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nicht zu übersehende Gildehaus der Gerber
"Het Toreken", mit dessen Bau 1451 begonnen
wurde und das 1483 fertiggestellt werden konnte.
Nach
der Unterwerfung des aufständigen Gent im Jahr 1540
beschnitt Karl V. die Macht der Gilden und ließ
mehrere Zunfthäuser beschlagnahmen, darunter auch
das Gildehaus der Gerber, das auf Befehl des Kaisers
im Folgejahr zwangsverkauft wurde.
Heute
befindet sich Het Toreken im Besitz der Stadt Gent,
die hier ein "Poëziecentrum" eingerichtet
hat.
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Auf
dem Vrijdagmarkt existierte früher ein Denkmal für
Kaiser Karl V., das im 19. Jahrhundert ersetzt
wurde, denn heute findet man hier ein Denkmal für
Jacob van
Artevelde, das am 14. September 1863 in Anwesenheit
von König Leopold I. eingeweiht wurde.
Der
um 1290 in Gent als Sohn eines vermögenden Tuchhändlers
geborene Jacob van Artevelde vereinte die zerstrittenen
Gilden und wurde zum Frontmann im Freiheitskampf
der Stadt gegen den von Frankreich gestützten Grafen
Ludwig II. von Flandern.
Jacob van Artefelde überzeugte den
Rat der Stadt und die einflussreichen Gilden, dass ein Aufstand
gegen den Grafen von Flandern zwangsläufig einen
Krieg gegen Frankreich nach sich ziehe, der nur
durch ein Bündnis mit Eduard II. von England und dessen militärischer Unterstützung gewonnen werden
könne. Bei dem Versuch des Königs von Frankreich, als
Antwort auf dieses Bündnis die englischen
Wollhändler aus Flandern zu vertreiben und die für
Flandern lebenswichtige Lieferung
von englischer Wolle blockierte, kam es zum bewaffneten
Aufstand der Zünfte, dem sich die flandrischen Städte
Brügge und
Ypern anschlossen.
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Nach ersten Anfangserfolgen
und der Vertreibung des Grafen von Flandern versuchte
der
englische König dann, seinem Sohn die Nachfolge
von Graf Ludwig zu übertragen. Dass der französischen
Vorherrschaft nun eine englische folgen sollte, ließ
die Stimmung
der nach Unabhängigkeit strebenden Bewohner von Gent umschlagen: Jacob van Artevelde wurde
zum Vaterlandsverräter erklärt und das Volk erhob
sich gegen ihn. Am 24. Juli 1345 ermordete
ihn dann der Zunftmeister der Webergilde, auch wegen
Arteveldes diktatorischer Gewaltherrschaft über
die Stadt.
Der Aufstand gegen Frankreich wurde
dennoch fortgesetzt, bis Jacobs Sohn Philipp van Artevelde im
Jahr 1382 ein
flämische Heer gegen die aufmarschierten französischen Truppen
führte:
In der Schlacht von Rozebeke wurden die Flamen vernichtend
geschlagen, weil die zugesagten Truppen des englischen
Königs noch nicht einmal vollständig
rekrutiert waren.
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Durch
die auf der Ostseite des Vrijdagmarktes abzweigende
"Wijzemanstraat" spazieren wir zur dreitürmigen
"Sint-Jacobskerk".
Das Gotteshaus
wurde ab dem Jahr 1120 über einer hölzernen Vorgängerkirche
von 1093 errichtet, die ebenfalls dem heiligen Jakob
geweiht war. Sie wurde durch die Truppen von Robert
Curthose, Herzog der Normandie und ältester Sohn
von Wilhelm dem Eroberer, zerstört.
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Die
ältesten Teile der Sint-Jacobskerk sind die romanischen
Westtürme und das Hauptschiff aus dem 12. Jahrhundert.
Der achteckige Vierungsturm wurde im 13. Jahrhundert
im Baustil der Scheldegotik hochgezogen, die Seitenkapellen
ergänzten die Gilden im 14. Jahrhundert.
Besichtigen können wir die Sint-Jacobskerk
leider nicht: Während unseres ersten Besuches wird
ein Gottesdienst gefeiert, bei unseren Folgebesuchen
ist die Kirche geschlossen.
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Der
Platz neben der Kirche erhielt wenige Monate vor
unserem Besuch den Namen "Bij Sint-Jacobs".
Hier werden traditionell die "Genter
Feesten" eröffnet und hier kann man auf dem
sonntäglichen Trödelmarkt mit etwas Glück ein antiquiertes
Schnäppchen ergattern.
Wir überqueren "Bij
Sint-Jacobs" sowie den dahinter liegenden Platz
"Beverhoutplein"...
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und schauen uns an der "Ottogracht" das
im Jahr 1805 erbaute und wohl seit dem Umzug der
Bibliothek an den "Graaf van Vlaanderenplein"
leerstehende Gebäude der alten "Stedelijke
Openbare
Stadsbibliotheek" sowie den angrenzenden "Kunstencampus"
des "Stedelijk Kunstinstituut" an.
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Durch
die Straße "Steendam" mit Fassaden
aus dem 17. und 18. Jahrhundert,
darunter das Treppengiebelhaus von 1657 und das
angrenzende "Huis De Claevere" aus dem
Jahr 1720 mit seiner frisch renovierten Fassade
und einem klassischen Halsgiebel, ...
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erreichen wir die "Sint-Jorisbrug", von
der man einen malerischen Ausblick auf die Leie
und die Schleuse
am Baudelokaai hat.
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Auf
der rechten Seite der Brücke beginnt der Yachthafen "Portus Ganda",
dessen Kurzzeit-Liegeplätze ausschließlich Tagestouristen
und Urlaubern mit Motorbooten zur Verfügung stehen.
Dauerliegeplätze finden Wassersportler im
Hafen an der Lindenlei und in den Yachthäfen Langerbrugge
und Sneppebrug.
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Wir
schlendern entlang des "Rodetorenkaai"
und des "Hagelandkaai" und überqueren
die schmale "Napoleon
de Pauw Brug"...
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von der man auf die bunten Fassaden des Sint-Joriskaais
am gegenüberliegenden Ufer der Leie hinüberblickt.
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Hinter
der Brücke
folgen wir dem "Schoolkaai" und biegen
dann nach
links in den "Voorhoutkaai" ein, der parallel
zur Leie verläuft.
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Jenseits
des Gewässers verbindet die moderne "Bavobrug"
den "Veerkaai" mit dem "Nieuwbrugkaai".
Zwischen den modernen Betonfassaden rechts
und links der Stahlrohrbrücke erkennen wir den hohen
Turm der Sint-Baafskathedraal.
Bevor wir
aber in Richtung der Kathedrale weitergehen, ...
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machen wir einen kleinen Abstecher zur "Sint-Machariuskerk"
an der Ecke Spanjaardstraat und Sint-Machariusstraat.
Die
Grundsteinlegung der Kirche erfolgte
am 13. Juni 1880 durch Koadjutor Monsignore
Debattice, weil sich immer mehr Menschen im nahen
Umfeld von Schlachthof und Viehmarkt niederließen
und dadurch die vorhandene Kapelle für die stark
angewachsene Gemeinde viel zu klein wurde.
Die
Pläne für den Bau der neuen, großen Pfarrkirche
fertigte der aus Brüssel stammende Architekt Arthur
Verhaegen, die Bauleitung lag in den Händen des
Genter Architekten Eugène Nève.
Die Kirche
wurde nach einer zehnjährigen Bauzeit fertiggestellt
und am 10. September 1890 durch Bischof Antoine
Stillemans dem Heiligen Macharius geweiht, der 1012
in Gent verstarb und dessen Schrein in der Krypta
der Sint-Baafskathedraal zu sehen ist. Die
Arbeiten am Turm wurden 1893 abgeschlossen.
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Die
im Kircheninneren ursprünglich vorhandenen Wandmalereien
wurden später weiß überstrichen.
Die sakrale
Einrichtung der Sint-Machariuskerk ist deutlich
älter als die Kirche selbst und wurde aus dem zuvor
übergangsweise als Gotteshaus genutzten Refektorium
der nahe gelegenen Sint-Baafsabdij hierher verbracht,
darunter die Kanzel aus dem Jahr 1851, das Chorgestühl
von 1883, das ebenso alte Tabernakel des Altars
sowie das aus dem Jahr 1867 stammende Gemälde mit
dem Heiligen Macharius und den Pestkranken.
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Gegenüber
der Kirche, auf der anderen Seite der Prooststraat,
findet man am "Buitenhof"
eine Erinnerungstafel an die während des belgischen Bauernkrieges
im
Jahr 1798 hingerichteten
Widerstandskämpfer.
Mit dem Motto "Voor Outer en Heerd"
- Für Altar und Herd - erhoben sich die Genter damals
gegen die französische
Besatzung wegen der exorbitantern Steuerbelastung, der Einführung
einer generellen Wehrpflicht und der Schließung
der Kirchen.
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Der bewaffnete
Aufstand brach am 5. Dezember 1798 zusammen, weil
die Aufständischen nach einem Verrat und einer Verfolgungsjagd
durch Brabant von den französischen Truppen bei Hilst gestellt und besiegt wurden.
Mehr als fünftausend Männer fanden in dem Gemetzel
den Tod.
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Die
Prooststraat führt zum "Spaanskasteelplein",
auf dem früher das "Spaanskasteel" stand.
Den Grundstein zum Bau der Burg legte Kaiser
Karl V. am 12. Mai 1540 als Antwort auf den
niedergeschlagenen Aufstand der Genter, fünf Jahre
später war das große Bauwerk bereits fertiggestellt.
Nachdem Karl V. die Grafschaft Flandern an seinen
Sohn Philipp II. von Spanien vererbt hatte, bauten
die spanischen Besatzer die unter
Karl V. errichtete Burg zu einem viereckigen, von
vier Bastionen und tiefen Wassergräben geschützten
Kasteel um.
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Die Pläne für
das stark befestigte spanische Fort fertigte der italienische
Festungsbauer Donato Buoni di Pellezuoli, der auch
die mittelalterlichen Verteidigungsanlagen
von Antwerpen modernisierte und verstärkte.
1567 eroberten die rebellierenden
Genter das Spaanskasteel und begannen, die stadtseitigen
Mauern zu schleifen, 1789 zerschossen österreichische
Truppen die Feldseite. Erhalten geblieben ist nur
das außerhalb des Kasteels gelegene "Spaans
Gouvernementshuis", in dem früher der Statthalter
des spanischen Königs residierte...
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und das heute von einem gewaltigen Urviech
bewacht wird.
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Vom
Spaanskasteelplein gehen wir zurück in die Spanjaardstraat,
an deren Südseite die Sint-Baafsabdij steht bzw.
das was von ihr noch erhalten geblieben ist, denn
sie ist inzwischen weitgehend zur Ruine verfallen.
Gegründet
wurde die Abtei im Jahr 630 vom heiligen Amandus
von Maastricht. Nach ihrer Zerstörung durch
eingefallene Normannen im Jahr 883 dauerte es mehr
als vierzig Jahre, bis die ins französische Laon
geflüchteten Religiosen in die verfallene Ruine
zwischen Schelde und Leie zurückkehrten.
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Der
Wiederaufbau der Sint-Baafsabdij erfolgte unter
Graf Arnulf I. von Flandern zwischen 942 und 946.
Mit dem Bau der Abteikirche wurde um 990 begonnen,
ihre Fertigstellung zog sich fast 20 Jahre
hin.
Kurz nach deren Vollendung kam der später heilig
gesprochene Macharius von Antiochien in die Abtei,
erkrankte an der Pest und verstarb hier am 8. Mai
1012.
Die heute noch zu sehenden Gebäude und
Gebäudereste wurden in der Blütezeit der Abtei zwischen
dem 10. und 12. Jahrhundert errichtet.
Der
Niedergang begann mit der Unterwerfung der aufständigen
Stadt durch Karl V. und dessen demütigenden Friedensbedingungen.
Er befahl unter anderem den Abriss großer Teile
der Abtei - darunter auch die romanische Abteikirche
- zugunsten des von ihm auferlegten Baus der großen
Burg am Spaanskasteelplein.
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Bis
heute erhalten
geblieben ist nicht nur das romanische Refektorium aus dem 12. Jahrhundert,
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in dem derzeit Gemälde und Skulpturen zum Verkauf
angeboten werden...
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sondern auch mittelalterliche Bögen und Mauern,
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die den Klosterhof umgaben,
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Reste des ehemaligen Kapitelsaales aus dem 13. Jahrhundert...
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sowie ein Teil des mittelalterlichen Kreuzganges
mit einer Vielzahl alter Grabplatten.
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Der Innenhof der Sint-Baafsabdij steht
heute wie früher in
einem starken Kontrast zu seinem weltlichen Umfeld.
Er strahlt noch immer die gleiche Ruhe und
Abgeschiedenheit aus wie vor mehr als tausendvierhundert
Jahren.
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