Foto-Reisebericht -
Reiseführer - Reise-Info Viersen
"Auf den Turm der Remigiuskirche"
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Der
Remigiusplatz und die Dächer der ihn umgebenden
Wohn- und Geschäftshäuser werden vom 61 Meter hohen
Turm der katholischen Pfarrkirche St. Remigius überragt.
Das
Gotteshaus wurde im 15. Jahrhundert als Staffelkirche
über den Fundamenten eines romanischen Vorgängerbaues
aus dem 8. Jahrhundert errichtet. Dieser wurde erstmals
im Jahr 1213 erwähnt, als
die hiesige Gemeinde der Propstei St. Gereon in Köln angegliedert
wurde.
Der Turm von St. Remigius ist deutlich
älter als die Kirche, er wurde bereits um 1350 erbaut.
Die 38 Meter lange und 24 Meter breite Remigiuskirche
wurde mehrfach beschädigt: 1667 wurde der Turm durch
einen Sturm in Mitleidenschaft gezogen, 1699 stürzten Gewölbeteile
des Gotteshauses wegen zweier auf romanischen Fundamenten
stehenden, brüchigen Arkadenpfeilern ein. 1930 wurde
vorübergehend ein Läuteverbot wegen Einsturzgefahr
des danach kurzfristig sanierten Turmes verhängt, 1945 wurde die Kirche
ausgebombt: Der Dachstuhl und der Turmhelm brannten ab,
das komplette Mittelschiff sowie der Chor stürzten
ein und ein Großteil der neugotischen Ausstattung
ging verloren.
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Der Wiederaufbau der eingestürzten Gebäudeteile
erfolgte direkt nach Kriegsende, die wiedererstellte
Pfarrkirche konnte bereits am 25. September
1949 geweiht werden. Die aufwändige und teuere Instandsetzung der Inneneinrichtung,
der zerstörten Glasfenster, Seitenschiffe, des Turms
und des Glockenstuhls zogen sich teilweise bis 1963
hin.
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Die beiden großflächigen
Reliefs seitlich
des Eingangs zur Kirche
haben die Kriegsereignisse überstanden.
Die Darstellung des Verrates des auf dem Ölberg
im Garten Gethsemane betenden Jesus durch Judas
Ischariot schuf der Aachener Bildhauer Lambert
Joseph Piedboeuf im Jahr 1897, ...
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die gleich alte Darstellung der Kreuzigung Christi stammt
laut Carl-Wilhelm Clasens Buch "Die Denkmäler
des Rheinlandes" von dem Bildhauer Pe. Wohl,
die Kirchengemeinde schreibt auch dieses Relief
Lambert
Joseph Piedboeuf zu.
Die reich verzierten
Rahmen entwarf der in Köln geborene und in Düsseldorf
wirkende Architekt Josef Kleesattel, der auch die
Restaurierung des Turmes im Jahr 1895 plante.
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Bei
unserem ersten Besuch in Viersen ist St. Remigius
verschlossen. Laut einem Hinweisschild in der Tür
kann das Gotteshaus an drei Wochentagen besucht
werden. Wir entscheiden uns, die Öffnung an einem
Samstagvormittag von 10 - 12 Uhr zu nutzen,
was sich in der Folge als ein Glücksgriff herausstellt.
Die
beiden Seitenschiffe der Remigiuskirche
werden durch jeweils vier freistehende, achteckige
Säulen von dem nur etwas höheren Hauptschiff optisch
abgetrennt.
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Zwischen
dem Hauptschiff und der dahinter liegenden Apsis
hängt ein Geißlerkreuz aus dem Jahr 1401, in den
Seitenschiffen sind auf Konsolen die Apostelfiguren
des früher vorhandenen Hochaltars aus dem Jahr 1869
sowie die mehr als hundert Jahre ältere Statue
der Muttergottes mit dem Kind untergebracht.
Die 1869 eingebauten farbenprächtigen
Buntglasfenster sind durch die Bombardements während
des 2. Weltkrieges bis auf eine Ausnahme heute nicht
mehr zu sehen. Die neuen, in den Jahren 1951 bis 1954 eingesetzten
Glasfenster wurden von dem Kunstmaler Eduard
Horst aus Honnef entworfen und sind deutlich dezenter
eingefärbt.
Hier im Hauptschiff kann man auch einen Blick auf die romanischen
Fundamente der ersten, deutlich kleineren Pfeilerbasilika
werfen.
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Am
Ende des Hauptschiffes überraschen uns der schlichte
Altar der Kirche und die modern gestaltete Apsis
mit Wandgemälden von Georg Ettl, auf dessen Spuren
wir schon im Kreishaus gestoßen sind.
Die Remigiuskirche
ist nicht das erste Gotteshaus, das Georg Ettl umgestaltete:
In den 1990er Jahren wirkte er in der Heilig-Geist-Kirche
in Neuss.
Ettl's Malereien stellen überwiegend
Szenen aus dem Leben des heiligen Remigius dar,
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darunter
die Bekehrung und Taufe
des Merowingers Chlodwig und
das bescheidene Leben des Heiligen im Einklang
mit der Natur.
Der heilige Remigius
von Reims wurde um
436 nahe dem französischen Laon geboren und war
bereits
mit 22 Jahren Bischof von Reims. Er bekehrte
die Franken und wird deshalb auch "Apostel
der Franken" genannt.
Remigius verstarb am 13. Januar 533.
Er wurde in "seiner" Kathedrale in Reims beigesetzt,
die später auch nach ihm benannt wurde.
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Das
im
südlichen Seitenschiff seitlich des Turms stehende
barocke Taufbecken
wurde aus Blaustein gefertigt und ist mit vier Masken verziert.
Es entstand
um das Jahr 1600.
Der deutlich jüngere Taufdeckel ist mit Engelsköpfen und
Ornamenten geschmückt, die kleine aufgesetzte Figurengruppe
erinnert an die Taufe Christi.
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Sowohl
im Hauptschiff als auch in den Seitenschiffen sind
in den Fußboden kunstvoll gestaltete Bodenmosaike eingelassen,
darunter im südlichen Seitenschiff die "Letzte
Ölung" aus
dem Jahr 1906.
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Links
von Altar und Apsis und durch das nördliche Seitenschiff
erreichbar befindet sich die Alte Sakristei, die
im Jahr 2004 zu einer Sakramentskapelle umgebaut
wurde.
Die ebenfalls von Georg Ettl entworfenen
Wandmalereien haben das Gleichnis vom Festmahl aus
dem Lukas-Evangelium zum Thema und nehmen die Formen
der Apsis-Malerei auf.
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In
dem auf einem Sockel stehenden, aus Bronze gefertigten
und mit Engeln verzierten
Tabernakel werden die Hostien aufbewahrt.
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Auf
dem Boden vor der Sakramentskapelle sehen wir das
Herzstück des alten, im Krieg beschädigten und teilweise
zerstörten Bodenmosaiks, ...
... das Noah und dessen Arche
darstellt, der die unterschiedlichsten Tierarten
zustreben.
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Wir
wussten es nicht, es war pures Glück, dass
wir für unseren zweiten
Besuch in Viersen einen Samstag ausgewählten. Denn
während der Sommerferien wird
interessierten Besuchern jeweils an Samstagen
um 11 Uhr ein Aufstieg auf den Turm von St. Remigius
angeboten. Außerhalb der Ferienzeit ist das
nur
nach Absprache mit dem Pfarrbüro unter der Rufnummer
02162/93140 möglich.
Die etwa einstündige
Führung durch Herrn
Hünnekes ist ausgesprochen kurzweilig und sehr informativ und
wir erfahren viel über den historischen
Hintergrund des Bauwerks in dessen kirchlichem und
weltlichem Umfeld. Und was wir selten erleben: Herr
Hünnekes lässt
keine Frage unbeantwortet.
Eine Gebühr für den
Aufstieg wird erstaunlicherweise nicht erhoben, aber "Turmtaler"
zur Unterhaltung von Turm und Gotteshaus sind natürlich
gerne
gesehen.
Der Aufstieg beginnt im Raum direkt
hinter dem Eingangsportal und führt über
eine enge Treppe mit 162 teilweise hohen Stufen
und durch mehrere Turmkammern bis hinauf zum Turmhelm
auf der Galerie.
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Die erste
Etappe endet über dem Gewölbe des nördlichen Seitenschiffes,
wo man einen guten Blick auf die Wärmeisolierung
der Gewölbedecken und die das Dach tragende Stahlkonstruktion
hat.
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Kurz
darauf sehen wir in der zweiten Turmkammer
das
alte
mechanische Uhrwerk der Turmuhr aus dem Jahr 1895.
Nach einem Motordefekt wurde es außer Betrieb genommen und durch ein von der Atom-Zentraluhr
der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig gesteuertes elektronisches Uhrwerk
ersetzt, das in der Turmkammer darüber bei den Stellmechanismen
zu sehen ist.
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Die vielen in der Turmkammer zu sehenden Bilder
mit den unterschiedlichsten Motiven bezeichnet Herr Hünnekes als Sammlung "Kunst
und Kultur".
Von hier aus erreicht man
durch eine Tür...
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die "Tenne". Wir befinden uns nun über
den Jochgewölben des Hauptschiffes und unter dem
1975 erneuerten Dach der Kirche.
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Einige
Treppenstufen später stehen wir in der Glockenstube
von St. Remigius und sind erneut überrascht: Hier
hängen auf engstem Raum sieben (!) Glocken:
Drei kleinere "Engelglocken"
aus den Jahren 1926/1953,
die St. Michaelglocke
von 1953 mit einem Gewicht von 1370 kg, die Christkönigglocke von 1953
mit 1500kg und die St. Marienglocke von 1506 - 2500kg.
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Die Marienglocke
wurde von Meister Jan van Venlo gegossen, einem
niederländischen Glockengießer, dessen
Porträt wir vor ein
paar Jahren an der Fassade des Rathauses in Venlo
bewundern durften.
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Schwerster
"Brummer" hier oben
ist die St. Remigiusglocke aus dem Jahr 1953. Sie
bringt 5110kg auf die Waage.
Die Glocken im Turm wiegen
zusammen 12.760kg und die Ausgleichsgewichte sind fast
genau so schwer. Welche Fliehkräfte müssen da auf
den Turm einwirken...
Als wir diese Zahlen hören,
wundern wir uns nicht mehr darüber, dass der Turm mehrfach
instand gesetzt werden musste und dass man den alten
Glockenstuhl im Jahr 1962 durch eine Stahlkonstruktion
ersetzte.
Vom Klang der Glocken dürfen wir
uns natürlich auch überzeugen: Nach einigen zaghaften
Versuchen mit den bereit gehaltenen Hämmern schafft
es unsere Gruppe tatsächlich, die Glocken von St.
Remigius rhythmisch von Hand zu schlagen.
Ob die
Viersener Bürger bemerkten, dass wieder einmal Amateure
versuchen, das elektronische Läutwerk zu ersetzen?
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Wieso die
beiden Glocken aus dem 16. Jahrhundert heute
hier immer noch läuten und warum hier überwiegend
Glocken aus den 1950er Jahren hängen, lassen Sie
sich am besten von Herrn Hünnekes erzählen...
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Nach
unseren virtuosen Glocken-Hämmereien wartet die letzten Etappe
der Turmbesteigung auf uns: Vom
Glockenstuhl aus geht es über eine Stahlleiter ...
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...
und an den massiven Glockenaufhängungen vorbei hinauf bis
zur Galerie.
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Durch
die Türen des Turmhelms
haben wir einen schönen Ausblick auf die Dächer
der Stadt...
...
bis
hinüber zur St. Josefskirche
und zur evangelischen Kreuzkirche.
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